Neuer Normentwurf für Event-Strukturen (Teil 2)

Hier ist es nun. Mein Resümee zum Entwurf der DIN EN 17879. Ich entschuldige mich jetzt schon, manche Absätze sind sehr technisch. Und der Zeitpunkt der Veröffentlichung war mitten im Open-Air-Geschäft nicht sehr branchenfreundlich. Unser Büro hat beschränkte Ressourcen und mehr Tiefe wäre notwendig gewesen. Darüber hinaus hat mich die Deutsche Übersetzung sehr geärgert. Das frei verfügbare Wörterbuch DIN Term online wurde für die Normübersetzung offensichtlich nicht herangezogen.

Vieles an dem Entwurf ist wenig überraschend und es gibt gute Ansätze in der Norm, mit denen ich gleich auch anfangen werde. Ich bin auch der Meinung, dass eine „eigene“ Norm für „Event-Strukturen“ wichtig ist. Aber leider gibt es ein paar kritische Punkte, mit denen die Verfasser de-facto der Branche kräftig ins Fleisch schneiden werden. Insbesondere, weil man strengere Anforderungen definiert, die der aktuelle Stand der Normung aus bester praktischen Erfahrung nicht vorsieht. Hier muss also nachgebessert werden.

Was ist denn nun gut an der Norm:

Grundsätzlich ist es gut, dass es eine Norm gibt, die für Veranstaltungsbauten Bedingungen sowohl für drinnen, wie auch draußen regeln will. Ich erhoffe mir dadurch langfristig eine Befriedung der Diskussion darüber, welche Regeln denn wann und wo nun gelten. Europaweit. Ebenfalls ist eine „Entkopplung“ von den Regeln für Fahrgeschäfte sinnvoll, weil Ermüdung und Dauerfestigkeit für Veranstaltungsbauten in der Regel keine Rolle spielen.

In diesem Zusammenhang seien beispielhaft die Sicherheitsbeiwerte für die Standsicherheit genannt. Aktuell gibt es Diskrepanzen zwischen Fliegenden Bauten (nach DIN EN 13814/17872) und allgemeinem Hochbau (DIN EN 1990). Die bisherige Auslegungspraxis ist mehr ein Bauchgefühl zwischen diesen beiden Normen und den Faktoren 1,2 bis 1,5 für Wind beispielsweise. Hier schafft die neue Norm Klarheit, im Sinne der Branche. Das begrüße ich ausdrücklich.

Erfreulich ist in diesem Zusammenhang ebenfalls, dass für Gummi ein technisch vernünftiger Reibbeiwert (0,6) normativ festgeschrieben wird. Höhere Reibbeiwerte sind nach mehrheitlicher Meinung praktisch unrealistisch.

Erfreulich ist ebenso, dass die Norm bezüglich teilweise geschlossener Bauwerke wie z.B. Bühnen die Ansätze der früheren DIN 1055 übernommen hat. Vergleichbare und einfach anzuwendende Ansätze fehlen in der DIN EN 1991-1-4. Zwar gibt es bezüglich „Innendruck“ Regelungen, welche sich aber in unserer Praxis nicht bewährt haben.

Was ist durchwachsen:

Der Anwendungsbereich der Norm ist teilweise unklar. Insbesondere, wenn es um Aufbauten drinnen geht. Die Frage, ob Messestände, Riggs und Dekorationsbauten im Theater dazu zählen wird nicht beantwortet, obwohl sie sicher unter die Norm fallen sollen. Die Norm sagt pauschal, dass sie draußen und drinnen gelte, nennt plausible Beispiele für draußen, aber kein einziges für drinnen. Die Ergänzung oben genannter Beispiele ist daher geboten.

Kapitel 6.2.3.3 möchte für Bauteile wie Spanngurte und mutmaßlich anderem Material aus dem Bereich der Ladungssicherung (mutmaßlich EN 121954-3) Sicherheitsfaktoren definieren, um diese Bauteile in Veranstaltungsbauten zu legitimieren. Es wird dabei aber übersehen, dass identisches Material wie z.B. Ketten im Hebezeugbetrieb und bei Ladungsicherung unterschiedliche Sicherheitsfaktoren besitzen (Betriebskoeffizient 4 vs. 2). Gut hieran ist prinzipiell der Versuch, ein einheitliches Bemessungsniveau zu schaffen und im Gegensatz zur DIN 13814 hier auf dem Bemessungsniveau zu bleiben. Ein Wermutstropfen ist allerdings, dass der Absatz suggeriert, Spanngurte wären auf einmal pauschal OK in Eventstrukturen. Das sehe ich etwas differenzierter. An der Rondellstange eines Zirkuszeltes ist ein Spanngurt akzeptabel. Im Windverband einer Bühne indiskutabel. Das sollte eine Lehre aus dem Indiana State Fair Unfall 2011 sein. Bei Ketten geht die Norm über die Anforderungen der Maschinenrichtlinie oder auch der DIN EN 13814 teilweise hinaus, wobei eine saubere und einheitliche Anwendung hier wünschenswert wäre.

In der Norm hat man sich grob gesagt zwischen dem Bemessungskonzept der DIN EN 13814 und 13782 entschieden. Leider für das Konzept der 13782, was mehr oder weniger zum Standardkonzept des Eurocodes passt. Die Verfasser der 13814, worunter Bühnen z.B. aktuell fallen, haben die Sicherheitsfaktoren geringfügig angepasst, weil man der Meinung war, aufgrund der genaueren Lastbestimmung kann man diese günstiger schätzen. Obwohl das Konzept der 13814 von den Behörden in ein meisten Ländern Europas akzeptiert wird (ich kenne mit Dänemark nur eine Ausnahme in der EU), hat man sich für das strengere Konzept der 13782 entschieden. Diese Sichtweise ist legitim, ich hätte mir aber gewünscht, dass eine Mehrheit für die Fortführung des Ansatzes nach EN 13814 im Verfasserkreis stimmt. Vor allem, weil dann an anderer Stelle der Norm viele wenns und abers definiert werden, um die ungünstigen Auswirkungen zu relativieren. Hieraus werden sich neue Herausforderungen inkl. Änderungen an Fliegenden Bauten ergeben.

Was muss am Entwurf verbessert werden:

Die Norm schafft grundlos strengere Anforderungen gegenüber dem aktuellen Stand der Technik. Das betrifft neben den Lastkombinationen hauptsächlich die anzusetzenden Horizontallasten in Kapitel 5.3.7. Ich habe die Lasten an ein paar Projekten ausprobiert und nichts konnte mehr so gebaut werden, wie bisher. Das ist bedenklich.

Die Norm nimmt an entscheidenden Stellen den Ingenieuren und Technikern Ermessensspielraum für die Auslegung von Veranstaltungsbauten, weil z.B. nicht nach Veranstaltungsort oder Nutzung unterschieden werden darf, wenn man drinnen aufbaut. Die Norm lässt im Entwurf keine Alternativen zu. Man hat hier nicht die Möglichkeit im Rahmen einer Risikoanalyse abweichende Horizontallasten anzusetzen. Übrigens im Gegensatz zu den Vertikallasten. Insbesondere beim Ansatz von Horizontallasten „indoor“ muss die Norm mehr Freiheiten zur Berücksichtigung der tatsächlichen Aufbausituation zulassen. De-facto muss zukünftig eine 1,1m hohe LED-Wand genauso ballastiert werden, wie eine 4,4m hohe LED-Wand auf einer Messe, egal wo sie steht. Auch bin ich der Meinung, dass eine Kulisse in einem strömungstechnisch abgeschlossenem Raum nicht für Windstärke 6 bemessen werden muss. Wenn ich bei vernüftiger Betrachtung zu dem Entschluss komme, die Norm nicht anzuwenden, dann muss an der Norm nachgebessert werden.

Bedenklich ist ebenfalls, dass man sowohl für drinnen wie draußen Horizontallastansätze von 10% der Vertikallast pauschal ansetzen möchte, obwohl dies im Eurocode gar nicht vorgesehen ist. Den 10%-Ansatz kennt man z.B. aus einschlägigen Normen für Tribünen, Sportgeräte oder auch Fliegende Bauten für begehbare Flächen. Also überall dort, wo relevante dynamische Lasten zu erwarten sind und dieser Absatz gerechtfertigt scheint. Allerdings gibt es auch viele Veranstaltungsbauten mit hohen, aber ruhenden Verkehrslasten, wo dieser Ansatz komplett über das Ziel hinaus schießt. Hier ist die Norm leider rigoros und pauschal, was nicht akzeptabel ist. Übrigens im Gegensatz und Widerspruch zur DIN EN 17206 (Maschinentechnische Einrichtungen der Veranstaltungstechnik) oder igvw SQP7. Insbesondere letztere Schrift hat in meinen Augen sehr gute Ansätze. Ich hätte mir gewünscht, diese Schrift hier inhaltlich wieder zu finden.

Die Norm legt wie eben beschrieben höhere Anforderungen an die Horizontallast fest, was einen erheblichen Einfluss auf die Dimensionierung der Bauten haben wird. Leider lässt die Norm andererseits damit zusammenhängende Fragen unbeantwortet. Zu der Zeit, als Tribünen nur aus Holz gebaut wurden und Normen wie die DIN 4112 (der Vorgänger zur DIN EN 13814) entstanden, wurden H-Lasten von V/10 mit der Nachgiebigkeit der (Holz-)verbindungen begründet. Damals steckten aber auch die Berechnungsverfahren z.B. nach Theorie II. Ordnung, wie wir sie heute kennen, in den Kinderschuhen. Weshalb von einigen Kollegen z.B. bei einem Ansatz von V/10 auf den Ansatz der Schiefstellung nach Th.II.Ordnung verzichtet wird. Hier bleibt die Norm also dem Ingenieur die Frage schuldig, wie weit darf dann die zulässige Schiefstellung z.B. gegenüber den Grenzwerten in DIN EN 1090 überschritten werden? Meine Erwartung ist klar: Entweder ich bleibe bei den Anforderungen des Eurocodes, oder ich definiere neben den strengeren Anforderungen, auch die erforderlichen Freiheiten und zulässigen größeren Schiefstellungen beispielsweise.

Die Norm verlangt für manche Installationen Lastmesszellen, um Eigengewicht für die Standsicherheit zu berücksichtigen. Das ist technologisch nicht nachvollziehbar und suggeriert hier obendrein eine Sicherheit, die es nicht gibt. Ich darf also LED-Wände oder Scheinwerfer dem Ballast nicht anrechnen, wenn sie ohne Lastmesszelle hängen. Stelle ich sie aber auf den „Boden“, dann brauche ich keine Lastmesszellen und glaube dem Datenblatt des Herstellers. Entscheidend ist doch, dass ich ein Gewicht genau genug ermitteln kann. Ob mit Lastmesszelle, Waage oder Berechnung muss frei wählbar sein. Ein LED-Trailer mit aktuellem Prüfbuch wäre nach dieser Norm mutmaßlich unterballastiert, weil das Gewicht der LED-Wand nicht zählen darf.

Es zeigt sicht also, dass der Entwurf an einigen Stellen noch der Nachbesserung bedarf. Und ich hoffe, dass alle Ungereimtheiten im Rahmen der Kommentarphase ausgebügelt werden.

Eine Antwort auf „Neuer Normentwurf für Event-Strukturen (Teil 2)“

  1. bedenklich sind ebenfalls die Aussagen unter 9.3.4. Da wünsch ich mir doch die alte DIN4112, mit der einfachen Aussage der LKW-Befahrbarkeit.
    Die Tabelle 9 legt hier Werte deutlich unter dem Niveau der DINEN 13814 fest. (mit 50 kN/m² statt der 200 kN/m²) damit sind alle Prüfbücher hinfällig.

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